Neulich fühlte ich mich wie im Uncanny Valley. Es war in einem Schreibseminar. Ein Student lieferte einen Text ab, der sich fast perfekt las, aber irgendwie auch falsch. Geschliffene Passagen, die nicht zusammen passten. Schön formuliert, aber ein wenig zu schön.
Was war es, das mir nicht behagte?
Das Uncanny Valley, das “gruselige Tal”, ist ein Begriff aus der Robotik. Er beschreibt das Unbehagen, das uns beschleicht, wenn künstliche Wesen allzu menschenähnlich sind. Wenn diese Wesen uns genug ähneln, um vertraut zu wirken, aber doch so anders sind, dass wir sie als unnatürlich empfinden. Genau dieses Unbehagen beschlich mich, als ich den Text las, der einerseits perfekt und andererseits falsch schien. Es war ein untypischer Text für einen Studenten. Hatte vielleicht ChatGPT mitgeschrieben?
Mit KI-Tools so arbeiten, dass sie das Schreiben erleichtern
ChatGPT & Co können uns dabei helfen, gute Texte zu schreiben. Sie können das Schreiben aber auch erschweren, wenn wir sie falsch einsetzen. Das ist meine Erfahrung nach einem Jahr Schreibseminaren mit und ohne KI.
In meinen Seminaren dürfen die Teilnehmenden alle Tools einsetzen, die sie auch in ihrem Alltag nutzen. Die verwendeten Tools sollen genannt werden und die Studierenden sollen uns an ihren Erfahrungen mit den Tools teilhaben lassen. Das Ziel ist es, gemeinsam zu lernen, wie wir die Schreib-KI sinnvoll einsetzen können.
Aus den gesammelten Erfahrungen zeigt sich, dass einige Punkte besonders wichtig sind, wenn wir mit ChatGPT & Co arbeiten. Dabei geht es nicht an erster Stelle um die Prompts, die wir verwenden. Wichtiger scheint die Frage, wie wir den Schreibprozess gestalten, wie umfassend unser Briefing ist und wie die Arbeitsteilung zwischen Mensch und KI aussieht.
Den Schreibprozess gestalten
“Schreibe einen Blogpost über die Kunst des Redigierens.” Mir persönlich würde solch ein einfacher Prompt genügen. Ich wüsste, was zu tun ist, und könnte intuitiv und Schritt für Schritt zum Ziel kommen. Das ist schließlich der Job, den ich gelernt habe, in dem ich Routine entwickelt und Erfahrungen gesammelt habe.
Der KI genügt solch ein einfacher Prompt nicht. Sie würde zwar irgendeinen Text produzieren, aber kaum das, was wir uns vorstellen. Inhaltlich nicht und stilistisch schon gar nicht.
Wenn wir mit KI schreiben wollen, dann müssen wir ihr genau sagen, was wir wollen. Intuition oder Bauchgefühl bringen uns nicht weiter. Wir müssen definieren, wie wir vorgehen wollen und welche Schritte die KI für uns übernehmen soll. Es liegt an uns, die einzelnen Schritte im Prozess zu steuern und zusammenzuführen. Das ist ein wenig so, als würden wir eine Fremdsprache erlernen: Wir müssen unser Gegenüber verstehen, die Regeln der Verständigung erlernen und vor allem üben, üben, üben.
Wo kann hierbei KI zum Einsatz kommen? Im Prinzip an allen Stellen des Prozesses, von der Ideenfindung über die Kernbotschaften und Gliederung bis hin zum eigentlichen Schreiben und Redigieren. Wie ein solcher Prozess aussehen kann, aus welchen Schritten er besteht und welche Schritte davon die KI am besten übernehmen kann: Darum wird es in einem nächsten Blogpost gehen.
Das Briefing erstellen
Ich schreibe keine einzige Zeile, bevor mein Briefing fertig ist. So habe ich es gelernt. Ob Rede, Blogpost oder Pressemitteilung: Erst wird recherchiert, Fakten werden gesammelt und Ideen eingeholt. Das Ganze wird sortiert, zusammengesetzt und gegliedert. Erst danach wird der erste Satz geschrieben. So funktioniert es beim Schreiben ohne KI, und es gibt keinen Grund, warum das mit KI anders sein sollte.
Zugegeben, manchmal schreibe ich los, auch wenn mein Briefing noch löchrig ist. Wenn ich noch nicht weiß, welches Fazit ich in meinem Kommentar ziehen möchte oder was die Zitatgeberin in der Pressemitteilung sagen könnte. Ein Stück weit entsteht das Werk im Gehen. Schreiben ist schließlich eine Form des Denkens, und manche Gedanken formen sich eben erst beim Schreiben.
Wenn KI für mich schreiben soll, dann fällt diese Art des schreibenden Denkens leider aus. Die KI schreibt entweder das, was ich ihr sage, oder irgendetwas, das gut und richtig klingen mag, aber völlig unsinnig oder inhaltsleer sein kann. Deshalb muss ich der KI genau sagen, was sie schreiben soll und wie. Mein Briefing muss fertig sein, bevor ich mithilfe der KI loslegen kann. Darin steckt eine gute Nachricht: Das Schreiben mit KI zwingt uns dazu, unsere Hausaufgaben zu machen, bevor wir mit dem eigentlichen Schreiben beginnen. Wenn wir uns daran halten, kann das nur gut für den Text sein. Wie das genau vonstattengeht und was die “Hausaufgaben” alles beinhalten, werde ich in einem nächsten Blogbeitrag beschreiben.
Die Arbeitsteilung zwischen Mensch und KI festlegen
Nun wäre es normalerweise Zeit, mit dem eigentlichen Schreiben zu beginnen. Ich habe den Prozess definiert, der mir sagt, wie ich vorgehen will. Ich habe mein Briefing erstellt, alle Fakten recherchiert, die Textsorte festgelegt und eine Gliederung erstellt. Jetzt kann ich meinen Text schreiben, Satz für Satz.
Wenn ich mit KI schreibe, muss ich erst noch einen Zwischenschritt einlegen. Ich schnüre Arbeitspakete, die ich dann entweder selbst übernehme oder der KI gebe. Dafür teile ich den zu schreibenden Text in Module, seien es einzelne Passagen oder ganze Absätze.
Geeignete Module kann ich von der KI erstellen lassen. In diesem Blogpost könnte es eine kurze Erklärung des Uncanny Valley sein oder eine Zusammenfassung der Kernaussagen für das Fazit. Ich kann mir Vorschläge erstellen lassen, die ich übernehme, abändere oder auch nur als Inspiration nehme, um dann doch etwas ganz Anderes zu schreiben.
An dieser Stelle wird das Prompten wichtig. Je besser ich den Prompt formuliere und je genauer ich der KI sage, was sie tun soll, desto besser kann das Ergebnis ausfallen. Das betrifft die Inhalte, den Stil, aber auch die Länge und Form dessen, was ich erwarte. Wie ich beim Prompten vorgehe und welche Prompts und Techniken für mich gut funktionieren, werde ich in einem nächsten Blogbeitrag erläutern.
Wenn die KI und ich unsere Arbeitspakete erledigt haben, füge ich alles zusammen. Deshalb ist es wichtig, die Arbeitspakete nicht zu klein, aber auch nicht zu groß zu schnüren. Denn je größer das Arbeitspaket ist, das ich der KI gebe, desto schwieriger wird es, das Ergebnis der KI so zu redigieren, dass es in meinen Artikel passt. Übrigens: Auch beim Redigieren und Fertigstellen meines Textes kann die KI mir helfen, wenn ich sie richtig einsetze. Auch dazu werde ich demnächst einen Blogbeitrag schreiben.
Fazit: Mit KI zu schreiben, will gelernt sein
Mit KI-Tools zu schreiben, kann schnell im Uncanny Valley enden. ChatGPT, Bard & Co können Texte erzeugen, die fast wie von Menschenhand geschrieben, aber doch falsch wirken.
Den Uncanny Valley Effekt können wir vermeiden, indem wir planvoll vorgehen. Wir legen den Schreibprozess fest und führen ihn Schritt für Schritt durch. Wir tragen alle Informationen zusammen, bevor wir mit dem Schreiben beginnen - selbst wenn wir den Impuls verspüren, schon einmal loszuschreiben. Und wir entscheiden bewusst, für welche Schritte im Schreibprozess wir KI-Tools einsetzen möchten und zu welchem Zweck. Wenn wir so vorgehen, können KI-Tools wertvolle Hilfe beim Schreiben leisten.
Übrigens: In dem Schreibseminar habe ich der Gruppe den Text vorgelegt. Ich habe gesagt, dass ich ratlos bin, und die Teilnehmenden um ihre Meinung gebeten. Die Gruppe war sich einig: Der Text war nicht schlecht, aber irgendwie auch nicht richtig. Der Student stimmte uns zu. Er hatte tatsächlich ChatGPT genutzt, um Teile des Textes zu schreiben, war aber daran gescheitert, den Text zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufügen. In diesem Fall half nur eins: Noch einmal von vorn beginnen.
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Abgesehen davon, dass ich diesen Artikel inhaltlich wunderbar finde (Danke!), hab ich auch gelernt, was "Uncanny Valley" bedeutet. Den Begriff kannte ich bislang nicht - aber ich bin sicher, wir alle werden ihn dieses Jahr noch häufiger lesen oder hören.